Was ist E-Mental-Health?

Fassen wir es kurz zusammen, woher der Ausdruck E-Mental-Health kommt:
Auch die Gesundheitswirtschaft verändert sich im Zuge der Digitalisierung. Und weil es so schön wichtig klingt nennt man es electronic Health, eHealth, oder E-Health nur eben bitte nicht elektronisches Gesundheitswesen. Das würde zu hart klingen. Oder zu sehr nach 20. Jahrhundert.

Beginnt man die Recherche in diesem „jungen“ Bereich ohne Nomenklatur, dann findet man sogar noch mehr Synonyme: Online Health, Cybermedizin, Cyberdoctor, Consumer Health Informatics, oder – Achtung – Health 2.0.

Wohin die Reise hier gehen wird ist in Summe noch immer ziemlich unklar. Manche glauben, dass digitale Lösungen hoch ausgebildete Fachleute (zum Teil) ersetzen können werden. Andere sehen eine Chance für Landflucht, unterversorgte Regionen und Überalterung (Stichwort: Assisted Living) durch elektronische Sprechzimmer, Videochats und Sprachnachrichten. In jedem Fall erlaubt es der erleichterte Zugang zu Informationen den Patienten sich leichter, besser und selbständig zu informieren über Google und besser noch spezielle Gesundheitsportale.

Andere glauben sogar, dass Software so potent sein kann wie ein Medikament oder ein medizinisches Heil- bzw. Hilfsmittel. Und klaro – auch das nennt man besser Software as a medical Device (SaMD) oder Software as a drug (SaaD).

Wieder andere sehen den Fokus insbesondere auf Lösungen, die auf mobilen Geräten genutzt werden können – genannt mobile Health oder mHealth. Das ist auch nicht weiter verwunderlichen, wenn seit Ende 2015 bei Google mehr Suchanfragen von mobilen Geräten (Smartphone, Tablet, etc.) als von Desktops PCs kommen.

Und wer Mobile sagt, der denkt auch immer App. Was einst das Schweizer Taschenmesser war, ist heute die mobile Applikation aus einem der vielen App und Play Stores der Anbieter. Das nennt man dann ganz folgerichtig mobile Health Apps, oder – Achtung – mHapp.

Befeuert wird diese Bewegung durch den Trend der Selbstvermessung. Beim Self-Tracking bzw. Self-Monitoring ist es geradezu chic seine Schritte, Kalorien, Herzschläge und Sitzhaltungen zu vermessen, zu speichern und gern auch mit anderen zu teilen. Quantified Self nennt sich die Bewegung gern selbst. Ist Ihre Waage auch schon mit dem Internet verbunden? Im Internet der Dinge (Intenet of Things – IoT) wird das ein ganz normaler Zustand sein. Sagt man.

Wo viele Daten anfallen, da sollte man daraus auch neue Erkentnisse ziehe können. Vermutet man zumindest. Big Data ist hier das Stichwort. Oder man könnte die vorhandenen Daten besser zusammen ziehen für ein ganzheitliches Bild. Clinic Decision Support Systems sollen interdisziplinären Einrichtungen hierbei unterstützen. Die auch in Deutschland politisch stark angeschobene Einführung der einheitlichen elektronischen Gesundheitsakte ist ein Meilenstein auf dem Weg der Definition von Standards in der Anwendung.

So richtig neu ist das alles nicht, mal abgesehen von den neumodischen Begriffen. Bereits seit den 1980ern wird unter dem Begriff Telemedizin (telehealth) geforscht und erprobt. Heute sagt man eher Internetmedizin oder Health IT. Geblieben ist die Frage, ob es einen Menschen braucht mit Fachkompetenz, oder ob ein System viele Aufgaben allein übernehmen kann. Insbesondere im Suchtbereich wird diese Autonomie einer Anwendung durch die meist anzutreffenden Komorbiditäten bei den Patienten erschwert.

E-Mental-Health!

In all dem Genannten kann der Teilbereich der (psychiatrischen) Behandlung von psychischen Erkrankungen als E-Mental-Healthabgegrenzt werden. Im therapeutischen Kontext der Verhaltenstherapie wird übergeordnet von online CBT (cognitive behavioral therapy) oder computerized CBT (kurz cCBT) gesprochen. Für Depression, Stress, Panik, Schlafstörungen, Trauma und Essstörungen gibt es bereits viele spannende Applikationen. Eine gute Übersicht zumindest über frei Verfügbare Apps gibt der active minds Blog.

Auch wenn im Detail E-Mental-Health als Feld noch erforscht wird, so ist schon jetzt klar: Für den Klienten macht es wohl keinen Unterschied, ob er den Behandler real oder nur digital zu Gesicht bekommt. Auch belegt ist, dass Lösungen mit menschlicher Unterstützung wirksamer sind als jene zur Selbsthilfe ohne menschliche Unterstützung. Solche guided self-help Anwendungen können wiederum an unterschiedlichen Stellen ansetzen.

Bei der psychosozialen Versorgung kann versucht werden schon früh zur Prävention zu intervenieren um gar keinen Bedarf für professionelle Hilfe aufkommen zu lassen. Alkoholabhängige zum Beispiel sind jedoch meist schon 10 Jahre süchtig bevor sie sich in Therapie begeben. Wenn sie dies tun, so ist die meist stationäre Entgiftung bzw. der körperliche Entzug nur schwer digital zu unterstützen. In der hoffentlich anschließenden stationären oder ambulanten Entwöhnung bietet sich die digitale Unterstützung wieder absolut an. Je größer dann in Folge die räumliche und zeitliche Distanz zwischen Therapeut und Klient wird, desto besser können digitale Werkzeuge bei der nachhaltigen Verhaltensänderung helfen. Nur sehr wenige Angebote unterstützen den Patienten bei der andauernden Nachsorge und Rückfallprävention.

Im Bereich der Alkoholkonsumstörungen existieren bisher unterschiedliche Lösungsansätze (1):

  • Text basierte Anwendungen zur Überwachung des Konsumverhaltens
  • Text basierte Anwendungen, die zusätzlich Nachrichten zur Unterstützung der Abstinenz übertragen
  • Umfassende, nicht nur auf Text basierende, Systeme (Comprehensive Recovery Management Systems)
  • Spielerische Anwendungen, die primär versuchen die Klienten bei der Stange zu halten

Mit RADIUS haben wir ein online basiertes Werkzeug entwickelt, dass speziell für die Behandlung nach dem Community Reinforcement Approach während der nachstationären Phase der Entwöhnung und der Nachsorge eingesetzt werden kann. Es fällt in die Gruppe der Comprehensive Recovery Management Systems. Andere Projekte sind in dieser Gruppe bereits zu beeindruckenden Ergebnissen gekommen. Riskante Trinktage konnten innerhalb von 6 Wochen um 60% reduziert werden und die Anzahl der Trinkeinheiten sank von 5,6 auf 2,9. Diese Zahlen stammen vom LBMI-A System der Universität Alaska, sowie vom Addiction CHESS(A-CHESS) System der Universität Wisconsin. Beide Systeme arbeiten im Vergleich zu RADIUS auch mit einer geolokalen Komponente. Der Klient kann hier Ort im System hinterlegen (eine Bar z.B.) und wird automatisch vom System hinterfragt wenn er sich dort aufhalten sollte. A-CHESS hat das Projekt in diesem Video gut nachvollziehbar zusammen gefasst:

Ähnlich gute Resultate stellt aktuell App MATTT (mobile aided treatment, therapy and training) in Aussicht, welche am Anton-Proksch-Institut in Wien entwickelt wurde.

Bereits 2014 hatte auch die Salus Klinik Friedrichsdorf zusammen mit der Universität Heidelberg in einer Pilotstudie den Einsatz neuer Medien in der therapeutischen Arbeit mit positivem Ergebnis evaluiert. Dort wurde statt einem zusammenhängenden E-Mental-Helath System mit einem Baukasten aus bereits vorhandenen Tools auf jedem Smartphone getestet (Kalender, Notizen, WhatsApp, Sprachnachrichten, etc.). Wird im therapeutischen Kontext auf bestehende Lösungen zurück gegriffen, so rücken massiv Datenschutz und Datensicherheit in den Fokus. Bei Software von Dritten liegen die Daten auch auf deren Servern, welche in vielen Fällen weder in Deutschland noch in Europa stehen. Damit unterliegen diese auch nicht dem strengen deutschen Datenschutzgesetzgebung.

Neben dem sicheren Umgang mit den medizinischen Daten ist in Deutschland auch die noch geltende Gesetzeslage für die Behandler zu beachten. Demnach gilt:

„Psychotherapeuten erbringen psychotherapeutische Behandlungen im persönlichen Kontakt.“ (2)

und

„Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, weder ausschließlich brieflich noch in Zeitungen oder Zeitschriften noch ausschließlich über Kommunikationsmedien oder Computerkommunikationsnetze durchführen.“ (3)

Eine rein elektronische Lösung, die auf face-to-face Kontakt verzichtet, ist demnach aktuell nicht zulässig.

Einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der internetgestützten Therapie in der Suchtbehandlung (E-Mental-Health) und das daraus abgeleitete RADIUS Programm hat Martina Bertino auf dem 6. CRA Kongress in Viersen gegeben. Ihr Vortrag ist hier zu sehen:

Sollten Sie noch immer Fragen haben, was genau E-Mental-Health ist, oder was es Ihnen bringt, schreiben Sie uns gern an. Wir freuen uns auch über Hinweise auf weitere gute Anwendungen und Lösungen.

Quellen:

1) Quanbeck, A., Chih, M.-Y., Isham, A., Johnson, R. and Gustafson, D. (2015). Mobile Delivery of Treatment for Alcohol Use Disorders: A Review of the Literature Alcohol Research 36/1
2) Musterberufsordnung für psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (MBO-PP/KJP 2006; §5 Abs.5)
3) Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä 2004; §7 Abs. 3):